Rezensionen (Auszüge)

Reiner  Kontressowitz

Friedrich Goldmann - Der Weg zur »5. Sinfonie«

Neumünster, von Bockel Verlag 2021; 144 S.; ISBN 9783956750342 

Als Autor von zwei Monographien zu Friedrich Goldmann gilt Reiner Kontressowitz als ausgewiesener Fachmann. Zusammen mit seiner nun vorliegenden dritten Studie hat er einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis dieses außergewöhnlichen Komponisten geleistet. […] Kontressowitz versteht sich besonders auf eine ganzheitliche Sichtweise des Phänomens Goldmann, sodass zur Einführung in die Essays und Klangszenen die Biographie des Komponisten umrissen wird. […] Über den ersten Essay für Orchester (1963/64), den zweiten (1968) und dritten Essay (1971) […] führt Kontressowitz sorgfältig auch für interessierte ›Laien‹ didaktisch klug zu den drei Klangszenen […]. Immerhin im letzten Kapitel widmet sich der Autor dem Entwurf Goldmanns zu einer geplanten fünften Sinfonie. Vorsichtig stellt Kontressowitz hier auch einige hypothetische Überlegungen zu möglichen Textgrundlagen auf, bleibt sich dieser Gratwanderung aber bewusst […].

Dominik Dungel

Wiedergabe der Auszüge der Rezension erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion „Die Tonkunst“, Heidelberg und von Dominik Dungel. Die Rezension erschien in der Ausgabe Oktober 2021.


Reiner  Kontressowitz

Friedrich Goldmann — der Weg zur  »5. Sinfonie«

Essay I, Essay II, Essay III – Klangszenen I, Klangszenen II, Klangszenen III.

Neumünster: von Bockel Verlag 2021. 144 S.; ISBN 9783956750342 

Das äußere Erscheinungsbild des neuen Buches hinterlässt von der ästhetischen Gestaltung her einen angenehmen Eindruck, der beim Aufschlagen noch durch die gute Lesbarkeit bezüglich Schriftgröße und Zeilendurchschuss bestätigt wird. Die Tuschezeichnung "Philosophisches Gespräch" von Frank Dittrich (S. 2) zielt in gewissem Sinne wohl auf Goldmanns Neigung zur soziologischen wie philosophischen Literatur. Das Gedankengut von Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas, Richard Rorty und Niklas Luhmann verursachten seine schöpferische Unruhe, wobei er deren Werke stets mit kritischer Distanz rezipierte.

Goldmann hat es sich niemals leicht gemacht, eine Komposition anzulegen. Er hat eine solche Arbeit nicht mit lockerer Hand niedergeschrieben, schon gar nicht um seines Lebensunterhaltes willen, sondern sein jeweiliges Vorhaben tief eingebettet in außermusikalische Betrachtungen und nicht zuletzt in Beobachtungen gesellschaftlich relevanter Vorgänge. Darüber berichtet Reiner Kontressowitz in subtiler Weise und spürt dem Atem nach, den der Komponist seinen Werken eingehaucht hat. Es geht neben einleitenden biographischen Anmerkungen vorrangig um zwei Werkgruppen, die nahezu das gesamte Hauptwerk Friedrich Goldmanns umspannen: die drei Essays aus den frühen Jahren zwischen 1963 (dem Opus 1) und 1971 mit dem ersten Auftragswerk für Orchester sowie die drei Klangszenen aus den späteren Jahren zwischen 1990 und 2003.

Mittlerweile ist es das dritte Buch des Autors über diesen Komponisten – nach den "Fünf Annäherungen zu den Solokonzerten von Friedrich Goldmann" (2014) und den "Annäherungen II. Zur Biographie und zu den Sinfonien von Friedrich Goldmann" (2020) – und ist mit der gleichen Intensität geschrieben, wie die beiden ersten. Kontressowitz ist bestens dazu berufen, eine solche Arbeit auf sich zu nehmen, schöpft er doch aus zahlreichen persönlichen Begegnungen und direkten Einblicken in Goldmanns Schaffensprozess durch seine frühere Tätigkeit als Lektor für zeitgenössische Musik u. a. im Verlag Peters, der die meisten Werke Goldmanns veröffentlicht hat. Und ebenso wie im vorangegangenen Band beindruckt die geglückte Darstellung von Lebensabschnitten und -umständen, von wohlüberlegter kompositorischer Arbeit, Eigen- und Fremdäußerungen, philosophischen und außermusikalischen Erkenntnissen und alles unter der Prämisse, mit besonderer Sorgfalt die schwierige analytische Auswertung vorzunehmen. Es ist geradezu ein Schulbeispiel für eine praxisorientierte Herangehensweise an die Kompositionsvorlage. Auch wenn sich die zu beschreibende Materie als äußerst kompliziert und sperrig erweist, hat es der Autor doch verstanden, sie in einem gut formulierten Text und in einer allenthalben verständlichen Sprache zu beschreiben. Und so mag man herauslesen, dass Goldmann – ein durchaus streitbarer Zeitgenosse – mit seinen Kompositionen nicht unbedingt gefallen wollte, sondern etwas sagen wollte und auch zu sagen hatte und vor allem Wert darauf legte, verstanden zu werden. Und die Triebkraft dafür fand er in seinem gesellschaftlichen Umfeld, das kritisch zu hinterfragen ihm wichtig war. So nimmt es denn nicht Wunder, dass er Fragen aufwarf und Antworten suchte und dies in einer handwerklich ausgereiften, höchst artifiziellen Kompositionsweise umzusetzen verstand, wo beispielsweise die „klangliche Darstellung von Massenereignissen“ (Tonmassen und Klangmassen) ihren Platz findet, ähnlich einer Demonstration für eine bestimmte Sache: Einigkeit, aber auch ein Durcheinander. Oder – wie in den Klangszenen – wo Goldmann „Klänge und Geräusche“ inszeniert und „Klang-Räume werden und wachsen“. Kontressowitz geht mit viel Geschick solchen Spuren nach, und das macht zum Großteil den Wert der vorliegenden Arbeit aus.

Der Buchtitel heißt explizit "Der Weg zur 5. Sinfonie", so als sei es Goldmanns wichtigstes Bestreben gewesen„ eine weitere Sinfonie seinem Œuvre hinzuzufügen oder vielleicht sogar die Sinfonie als das Nonplusultra zu verstehen. Tatsächlich hat sich der Komponist mit dem Gedanken getragen, wie ein nach seinem Tode aufgefundenes Konzept belegt, aus den drei Klangszenen ein neues Ganzes zu schaffen, dann allerdings in Verbindung mit vokalen Anteilen, um mit dem gesungenen Wort zusammen seinen Anspruch, sich verständlich zu machen, neu zu formulieren und viel stärker zu verdeutlichen, was ihn geistig bewegt als es die Musik allein vermag. Und doch hatte sich Goldmann mit der tradierten Gattung Sonate oder Sinfonie einerseits immer schwer getan, andererseits stets als Herausforderung betrachtet, sich besonders mit der Tradition auseinanderzusetzen und den Anspruch der Gattung durchaus ernst zu nehmen. So ist Goldmann einen selbstauferlegten, immens steinigen Weg gegangen, als er versuchte, das „konventionelle Gerüst von innen her zu durchbrechen“', auch wenn er, wie er selbst betonte, nicht „im überlieferten Sinne als Sinfoniker“ gelten wollte. Kontressowitz belegt im zweiten Band seiner Goldmann-Monographien (Annäherungen II) die Auseinandersetzung des Komponisten um die Möglichkeiten einer eigenwilligen Ausdeutung der Sonatenform. Insofern ist es wirklich zu bedauern, dass wir die Endfassung seiner konzipierten 5. Sinfonie nicht mehr erleben durften.

Und so sprechen wir über ein Buch, das sich ebenso Fachleuten, speziell aus dem lehrenden als auch dem lernenden Bereich, durchaus auch Konzertdramaturgen, wie auch interessierten Laien anbietet und – wie beide vorangegangenen Bände – einen wichtigen Versuch darstellt, musikalische Vorgänge in Sprache zu bringen.

Gratulation dem Autor und dem Verleger des gut gestalteten Bandes in übersichtlicher Gliederung. Möge diese Arbeit andere Autoren anregen, derart tiefgründig über die Kompositionskunst und deren Schöpfer zu schreiben.

(Juni 2021)                        Klaus Burmeister


„aus: Die Musikforschung 4/2021 – www.musikforschung.de

Die Wiedergabe der Rezension erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des Rezensenten.