In Anbetracht des Interesses der großen Meister
für das Werk Albinonis stellt Andreas Moser
(„Geschichte des Violinspiels“, Berlin 1923, S. 78)
– auf Wasielewski zielend – lakonisch fest, dass es
mit der „philisterhaftesten Trockenheit“ eine
eigene Bewandtnis haben müsse. Gleichzeitig hebt er die
„ganz meisterlichen Kanons und Fugen“ aus Op. VIII
und die Konzerte Op. VII hervor. Besondere Bedeutung misst Arnold
Schering („Geschichte des Instrumentalkonzerts bis auf die
Gegenwart“, Leipzig 1905, S. 74ff.) den Sinfonie e Concerti,
Op. II, als „Überleitungsgebilde vom alten zum neuen
Stil“ bei. Mit den darin enthaltenen Concerti hat sich
Albinoni das Verdienst erworben, klare und prägnante
Ritornellgedanken formuliert zu haben. Schering bezieht sich offenbar
auf Arteaga, der davon sprach, dass – unter anderen
– Albinoni das Hauptthema eines musikalischen
Stückes in den Mittelpunkt des Interesses rückt
(s.o.). Als Kontrapunktiker schrieb er Meisterstücke
fünfstimmiger Fugenkunst, so z. B. in Opus V. Bachs
gelegentliche Hinwendung zu Albinoni ist also durchaus zu verstehen.
Die Verbindung zu Bach ist immer wieder aufgegriffen worden. So glaubt
Hans Engel („Das Instrumentalkonzert“, III. Band
der Reihe Orchestermusik, in Führer durch den Konzertsaal,
begonnen durch Herrmann Kretzschmar, Leipzig 1932, S. 15) das
Giguen-Thema von Bachs drittem Brandenburgischen Konzert auf
ähnliche Themen bei Albinoni zurückführen zu
können (Op. II, 1_III ). Albinoni ist für Engel
„ein ganz bedeutender Meister, einer der großen
Meister, dessen Werk eine Wiederbelebung lohnt“ („Das
Instrumentalkonzert“, Wiesbaden 1971, S. 25).
Die zunehmende
Hinwendung zum Werk Albinonis gipfelt zunächst in einer
umfassenden Arbeit von Remo Giazotto („Tomaso
Albinoni“ Milano 1945, 362 Seiten) mit einem thematischen
Katalog der Instrumentalmusik, 197 Musikbeispielen und 14 biografischen
Dokumentenwiedergaben im Anhang, unter anderem mit der Geburtsakte von
Tomaso Albinoni, dem Testament seines Vaters Antonio bis hin zu den
„Atti di Morte“ (dem Sterberegistereintrag) von
Tomaso Albinoni. Ausführlich widmet er sich im Haupttext den
„Notizie biografiche“ sowie den gedruckten Werken
von Opus I bis IX und den Instrumentalwerken ohne Opuszahl. Die
zwölf Concerti von Opus X waren ihm noch nicht bekannt.
In
seiner Habilitationsschrift („Das Formprinzip des
Vivaldischen Konzerts“, Leipzig 1957, S. 17) schreibt Rudolf
Eller, dass sich Albinoni in seinen frühen Concerti op. 2 und
op. 5 im „Kräftigen, Lapidaren, rhythmisch Federnden
der Tuttithemen und in der klaren, auf Wechsel von Tutti und virtuoser
Fortspinnung basierenden Satzdisposition … an der
zeitgenössischen Opernmusik orientiert“. Und an
anderer Stelle heißt es: „Trotz der opernhaften
Leichtigkeit der Thematik und der Knappheit des Satzaufbaues
… liegt gerade im überaus Gediegenen der Satzarbeit
Albinonis Stärke; die Durchführung des Motivmaterials
in vielen der Kopfsätze und die Fugierung der
Schlußsätze – beispielsweise
sämtlicher zwölf des op. 5 – sind
dafür glänzende Beispiele.“ (Ebenda S.
18f.) Eller kommt zu dem Schluss, dass Vivaldi und Albinoni
„sich auf mehrfache Weise und in verschiedenen
Entwicklungsstufen gegenseitig angeregt und gefördert
haben“ (Ebenda S. 21) könnten. Wichtig für
die weitere Entwicklung der Satzform, die dem Tutti den thematischen
Vordersatz zuweist und dem Solo die figurative Fortspinnung, war Eller
vor allem, „dass Vordersatz und Fortspinnung hier klanglich
kontrastieren. – In dieser Art deutet sich die Konzertform in
italienischen Werken gegen 1700, am deutlichsten in dem
Frühwerk Tommaso Albinonis, den 1700 erschienenen
»Sinfonie e Concerti a cinque« op. 2,
an.“ („Die Entstehung der Themenzweiheit in der
Frühgeschichte des Instrumentalkonzerts“, in:
‚Festschrift Heinrich Besseler‘, Leipzig 1961, S.
324).
Sehr ausführlich widmet sich auch Arthur J. B. Hutchings in
seinem Buch „The Baroque Concerto“ (London 1961,
2/1963) dem Instrumentalwerk Albinonis und vergleicht sein Schaffen mit
dem anderer italienischer Komponisten, vor allem mit Antonio Vivaldi,
Giuseppe Torelli, Arcangelo Corelli, Alessandro und Benedetto Marcello,
und kommt zu dem Schluss: „How much was Albinoni responsible
for the form, style and expression of Venetian concertos? Even if later
research proves him to have been an outstanding innovator the question
will never be fully answered“ (Huchings, S. 135). Und an
anderer Stelle bemerkt er: „Befor the concertos of Albinoni
and Vivaldi, expectant initial tuttis were highly organized only in
arias. Vivaldi’s and Albinoni’s initial tuttis are
more elaborate and pregnant than any others before
Bach’s.“ (Hutchings, S. 147)
Angeregt von Hutchings Arbeit schrieb Michael Talbot 1968 seine
(unveröffentlichte) Dissertation von 444 Seiten mit dem Titel
„The Instrumental Music of Tomaso Albinoni“. Im
Anhang enthält die Arbeit eine
‚Source-List‘, einen ‚Thematic
Catalogue‘ sowie eine ‚Bibliography‘.
Zwölf Jahre später erschien vom gleichen Autor ein
verdienstvolles Buch mit dem schlichten Titel
„Albinoni“, ins Deutsche übersetzt von
Jochen Rohlfs (Adliswil 1980). Es enthält die Ergebnisse
langjähriger umfassender, akribischer Forschung. So schreibt
Talbot z. B., es handle sich bei den Concerti in Opus V „um
zwölf Concerti a cinque für Streicher, eine
meisterhafte Synthese aus Elementen der Konzerte und der Sonaten des
Op. 2. Die ersten beiden Sätze verfolgen weitgehend das Muster
der früheren Konzerte, wenn auch jetzt mit sehr viel
reichhaltigerem musikalischen Material, während die
Schlusssätze ausnahmslos in Fugenform gehalten sind, wie
Albinonis Allegrosätze in seinen Sonaten. Von allen Sammlungen
erfreute sich Op. 5 der meisten Neuauflagen. Zwei italienischen
Ausgaben folgten drei holländische und eine
englische“ (Ebenda, S. 38f.). Die vier Streicherkonzerte in
Op. 7 böten „außer einer gewissen Frische
wenig Neues… Die übrigen acht Werke jedoch
– vier für Solo-Oboe, Streicher und Continuo und
vier für zwei Oboen – sind für die
Geschichte des italienischen Instrumentalkonzerts
bahnbrechend.“ (Ebenda, S. 44) Im Zusammenhang mit den
Concerti Op. 9 spricht Talbot von „verbesserte(n)
Entsprechungen der Konzerte des Op. 7“ (Ebenda, S. 52). In
den Concerti von Op. X glaubt er, Ermüdung besonders in der
Stimmführung zu erkennen.
Auch in den USA wächst in den 70er Jahren das
wissenschaftliche Interesse an den Werken Albinonis, besonders an den
Concerti. Martin Lewis Shapiro schreibt 1971 seine Dissertation
über „The Treatment of Form in the Violin Concertos of Tomaso
Albinoni“ (University of California at Santa Barbara) und John Eric
Solie 1974 seine Dissertation mit dem Titel „Form in the Concertos and
Sinfonia of Tomaso Albinoni“ (University of Chicago).
Ebenfalls 1974 schrieb Reiner Kontressowitz seine Diplomarbeit „Zum Fromprinzip im Solokonzert Tomaso Albinonis“.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Wertung des Instrumentalschaffens
von Tomaso Albinoni blieb nicht ohne Folgen für die
Interpreten. Die Zahl der Editionen und bemerkenswerten Einspielungen
wächst von Jahr zu Jahr.