Urteile über Tomaso Albinoni aus der historischen Literatur

Zum ersten Male in der historischen Literatur wird der Name Albinoni in der Streitschrift von Johann Heinrich Buttstedt angeführt („Ut, Mi, Sol, Re, Fa, La, Tota musica et Harmonia Aeterna“, Erfurt 1716, S. 87: „Die Ouverturen haben eben nicht unter allen Piecen, die Instrumentaliter executiret werden/ das Prae; ... sondern zu denen Concerten derer Italiänischen Virtuosen/ als Albinoni, Corelli etc. ... wird vielmehr Kunst erfordert.“). Buttstedt versucht, die Behauptung Johann Matthesons zu widerlegen, dass unter allen Instrumentalstücken den Ouverturen der Vorzug zu geben sei (in: „Das Neu-Eröffnete Orchestre“, Hamburg 1713, S. 170, § 22: „Unter allen Piecen, die instrumentaliter executiret werden, behält ja wol per majora die so genandte Ouverture das Prae.“) und führt Albinoni und Corelli als Zeugen dafür an, dass „zu denen Concerten derer italienischen Virtuosen, als Albinoni, Corelli etc. wird vielmehr Kunst erfordert“! Warum der Name Vivaldi nicht erscheint, obwohl der nahegelegene Weimarer Hof der Herzöge von Sachsen-Weimar zahlreiche Konzerte von ihm besaß, was aufgrund der Bachschen Bearbeitungen Vivaldischer Konzerte zu vermuten ist (Karl Heller, „Die deutsche Überlieferung der Instrumentalwerke Vivaldis“, Leipzig 1971, S. 7: „So ist es durch die in Bachs Weimarer Zeit entstandenen Klavier- und Orgelbearbeitungen Vivaldischer Konzerte erwiesen, daß am Weimarer Hofe in dieser Zeit die Konzerte Vivaldis bekannt waren und vermutlich durch die Hofkapelle gespielt wurden. Zumindest die Druckausgabe von op. III und – in handschriftlichen Fassungen – einige der in den opera IV und VII veröffentlichten Konzerte müssen sich im Besitz Bachs bzw. des Weimarer Hofes befunden haben.“), und woher Buttstedt, der zeitlebens in Erfurt tätig war, die Concerti Albinonis und Corellis kannte, gehört in das Kapitel ‚Die deutsche Überlieferung der Instrumentalwerke Albinonis …‘.

Erst Francesco Saverio Quadrio („Della storia e della ragione d’ogni poesia“, Bologna 1739ff., vol. III, parte 2a, S. 516) bringt eine nahezu vollständige Aufzählung der Opern. Im übrigen erfahren wir nur, dass Albinoni, „fioriva circa il 1694“. In diesem Jahr wurde die zweite Oper von ihm aufgeführt und das Opus I erschien im Druck. Eine bedeutungsvolle Anmerkung finden wir bei Johann Joachim Quantz („Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen“, Berlin 1752), der im XVIII. Hauptstück unter § 58, S. 309 schreibt, dass Torelli und Corelli zwar mit der Komposition von Konzerten begonnen hatten, doch Vivaldi brachte sie „nebst dem Albinoni in eine bessere Form und gab davon gute Muster“. In seinem Lebenslauf berichtet Quantz (in: Friedrich Wilhelm Marpurg, „Historisch-Kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik“, Berlin 1754-1756, Bd. I, drittes Stück, S. 232) u.a. von seiner Reise durch Italien. Im Februar des Jahres 1726 reiste er von Ferrara über Padua nach Venedig. Von den bemerkenswerten Instrumentisten dieser Stadt nennt er die Violinisten Vivaldi und Madonis und den Oboisten San Martino. ,,Von Componisten hielten sich noch Lotti, Benedetto Marcello, und Albinoni, alle drey bekannt genug, daselbst auf“. Sir John Hawkins („A General History of the Science and Practice of Music“, London 1776, Neuausgabe London 1853, vol. II, S. 808) teilt mit, dass Albinoni „was reckoned the most famous ... at Venice“. Sein Opus III, Balletti a tre, wurde auch in England bald bekannt und beliebt.

Mit Jean Benjamin La Borde („Essai sur la musique ancienne et moderne“, Paris 1780, Tome IIIme, S. 162) beginnt die Geschichtskritik die Werke Albinonis differenziert zu beurteilen. Im Operngenre gelingt ihm Besseres „que dans celui de la Musique d’Eglise“. Außerdem erfahren wir, dass Albinoni nicht nur die Violine spielte, sondern auch sang „avec beaucoup de graces“. Ausführlich gewürdigt werden nur die Opern, das Instrumentalwerk wird im Einzelnen nicht angeführt. Stefano Arteaga („Le rivoluzioni del teatro musicale italiano“, Bologna 1783, Bd. II, S. 15) zählt Albinoni neben Gaetano Greco, Antonio Caldara, Giovanni Bononcini und Pietro Sandoni zu den „großen Harmonisten“, die bestrebt waren, das Hauptthema eines musikalischen Stückes in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, die Einheit der Melodie zu beachten und überhaupt alles so einzurichten, „daß die Harmonie, das Thema, das Zeitmaß, die Modulation, die Melodie und die Begleitung völlig zusammenstimmen und gleichsam eine einzige Sprache reden.“ Ebenfalls ins Detail führt eine Bemerkung von Charles Burney („A General History of Music“, 1776ff., Musicological Reprints, Baden-Baden 3/1958, vol. III, S. 444), mit der er auf die Verwendung von Viola alto und Viola tenore in Op. II hinweist.

François Joseph Fétis („Biographie universelle des musiciens et bibliographie général de la musique“, Paris 1837-1844, 2/1860-1865, Tome Premier, S. 54ff.) kommt aufgrund eigenen Partiturstudiums zu dem Urteil, dass Albinoni in den Opern einen trockenen Stil zeigt, dass seine Ideen langweilig und trivial sind und der Ausdruck der Worte in den meisten seiner Opern unbedeutend ist. („... l’examen que j‘ai fait de quelques-unes de ses partitions m’a démontré que son style est sec, sés idées fades ou triviales, et l’expression des paroles de la plupart de sés opéras á peu près nulle“.) Es wäre interessant zu erfahren, welche ‚partitions‘ von Albinonis Opern Fétis eingesehen hat, worauf also sein Urteil beruht. In der Instrumentalmusik glaubt Fétis jedoch mehr Talent zu entdecken; vor allem zeigen seiner Meinung nach die Balletti da camera, Op. III, einen gewissen Charme. Mit Nachdruck distanziert sich Wilhelm Joseph von Wasielewski von den Werken Albinonis („Die Violine und ihre Meister“, Leipzig 1868, 2/1883, S. 101). Hier wird mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, dass die Instrumentalmusik Albinonis „von der philisterhaftesten Trockenheit“ sei; und – offenbar auf Fétis‘ Urteil fußend – Albinonis Talent auf dem Gebiet der Instrumentalmusik stärker als in der Oper wäre. Die Opern müssten „Musterstücke unvergleichlicher Sterilität und Langweiligkeit sein“ urteilt Wasielewski (wohl ohne sie zu kennen).

Ende des 19. und im 20. Jahrhundert erweckt Albinoni zunächst im Zusammenhang mit seinen großen Zeitgenossen das Interesse. Philipp Spitta („Johann Sebastian Bach“, Leipzig 3/1921) greift die Mitteilung Gerbers auf, der über den Generalbassunterricht seines Vaters bei J. S. Bach berichtet, wobei jener einen Generalbass von Albinoni (Op. VI, Nr. 6) auszuführen hatte. Spitta glaubt an eine „gewisse Vorliebe“ (I, S. 423) Bachs für Albinoni. Es existieren auch zwei Fugen von Albinoni, die „mehr oder weniger von Bach benutzt wurden“ (ebenda; vgl. Opus I, die 2. Sätze der 3. und 8. Sonate). Jedoch noch bei Wolfgang Schmieder (Thematisch-sytematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach“, Leipzig 1950, 5/1971, S. 532, Nr. 950 und 951) besteht Zweifel an der Autorschaft Bachs. Neben Verbindungen zu J. S. Bach bestehen auch solche zu J. G. Walther und G. F. Händel.