Es ist anzunehmen, dass die zyklische Satzfolge des Konzertes
schnell - langsam - schnell der Opernsinfonia nachgebildet wurde. Der
Schluss-Satz ist gelegentlich ein Menuett – bereits in der
Opernsinfonia gepflegt – oder aber von
giguenmäßiger
Anlage, die aus der Suite stammt.
Die entscheidende formale Entwicklung erfährt das Konzert in
seinem ersten Satz, für den sich in der Literatur –
entsprechend dem Sonatenhauptsatz der nachfolgenden klassischen Sonate
– der Terminus Solokonzertsatz eingebürgert hat. Die
in Sammlungen gedruckten Konzerte – 1700: Opus II [6], 1707: Opus V [12], circa 1715:
Opus VII [12], circa 1722: Opus IX [12], circa 1736/7: Opus X [12] – sind ausnahmslos mit ‚Concerto‘
bezeichnet, einem Terminus, der hier für Concerto ripieno,
Solokonzert und Konzert mit zwei Oboen sowie für Konzerte mit
Concertino-Episoden steht. „… mit dem Terminus
„Concerto ripieno“ hat Vivaldi (!) eine Bezeichnung
für das Orchesterkonzert gefunden, die allerdings nur bei ihm
vorkommt“ (Walter Kolneder, „Antonio
Vivaldi“,
Wiesbaden 1965, S. 185). Arnold Schering verwendet die Bezeichnung
„Konzertsinfonie“, Remo Giazotto spricht von
„sonata-concerto“, David D. Boyden von
„ensemble-concerto“, Manfred Bukofzer verwendet den
Ausdruck „orchestral concerto“ und Hans Engel den
Begriff
„Streicherkonzert“),
Da Albinonis Schaffen für die Entwicklung des Solokonzerts um
1700
zweifellos von Bedeutung ist, die Konzerte Op. II und Op. V jedoch
nicht die Konzertform im Sinne eines Vivaldischen konstruktiven
Tutti-Solo-Verhältnisses aufweisen, kann hier nur der Versuch
unternommen werden, von den späteren Schriften der Theoretiker
Johann Mattheson („Das neueröffnete
Orchestre“,
Hamburg 1713, „Das beschützte Orchestre“
Hamburg 1717
u.a.), Johann Adolph Scheibe („Compendium musices“, 1730), Johann Joachim Quantz („Versuch einer Anweisung die
Flute traversière zu spielen“, Berlin 1752) und Joseph
Riepel („Anfangsgründe zur musikalischen
Setzkunst“, Regensburg/Wien 1752) auf formale Gegebenheiten in den Werken Albinonis
rückzuschließen. Obgleich Buttstedt („Ut,
Mi, Sol, Re,
Fa, La, Tota Musica et Harmonia Aeterna“, Erfurt 1716)
bereits
1716 Albinoni als Kronzeugen für die überragende
Bedeutung
des Konzertes auf den Plan ruft, so ist doch anzunehmen, dass im
Wesentlichen die Konzerte Vivaldis und Bachs als Grundlage
theoretischer Erörterungen gedient haben. Quantz berichtet zum
Beispiel, als er im Jahre 1714 in Pirna Violinkonzerte Vivaldis zu
sehen bekam, dass sie „als eine damals gantz neue Art von
musikalischen Stücken“ ihn gewaltig beeindruckten
und er
sich Kopien von einigen anfertigte. Besonders hatten es ihm die
„prächtigen Ritornelle“ angetan, die ihm
„in den
künftigen Zeiten zu einem guten Muster gedient“
(Friedrich
Wilhelm Marpurg, „Historisch-Kritische Beyträge zur
Aufnahme der Musik“, 1756-1778).
Wenn Scheibe („Der Critische Musicus“, Hamburg
1738/40, S.
631) bei der Besprechung der Instrumentalkonzerte in den
„vollstimmigen Sätzen“ (Ritornellen)
„geschickte
Nachahmungen, oder kurze Fugen“ verlangt, so entspricht das
einer
Eigenart Albinonis, obgleich wahrscheinlich Johann Sebastian Bach ihm
die Muster geliefert hatte. Man kann die Ansicht Wilhelm Fischers
(„Instrumentalmusik von 1450-1880“, in: Handbuch
der
Musikgeschichte, Berlin-Wilmersdorf 1930, S. 558), Vivaldis
Konzertsatz sei „die Leitform der hochbarocken
Instrumentalmusik“, nur mit Vorbehalt teilen; denn bereits
Siegfried Kross („Das Instrumentalkonzert bei Georg Philipp
Telemann“, Tutzing 1969, S. 25) wies darauf hin, dass die
Konzerte Telemanns wenig Anhaltspunkte für diese Annahme
bieten
und vermutet eine weniger geradlinige Entwicklung der Gattung.
Im Hinblick auf die formale Anlage des Solokonzerts begnügt
sich
Scheibe mit dem Hinweis auf die „sehr starke
Ähnlichkeit mit
einer wohlgesetzten Arie“ („Der Critische
Musicus“,
S. 631) In seinem „Compendium musices“ (siehe oben,
S.
84f.) fordert er, dass in einem Stück die konzertierenden
Passagen
abwechselnd mit dem Hauptsatz vorgetragen werden und macht damit den
Unterschied zwischen thematisch geprägten und nicht
prägnanten Melodiebildungen deutlich (vergleiche Fred Ritzel,
„Die Entwicklung der ‚Sonatenform‘ im
musiktheoretischen Schrifttum des 18. und 19. Jahrhunderts“,
Wiesbaden 2/1969, S. 32). Bei der Erklärung der Antithesis in
der
Figurenlehre beleuchtet er diesen Unterschied von einer anderen Seite:
„Auch in den Concerten läßt sich dieses
auf die
vortreffliche Art anwenden: wenn nämlich die Concertstimme
ganz
neue Erfindungen zeiget, die aber dennoch mit dem Hauptsatze, der im
ganzen Stück zum Grunde gelegt ist, verbunden sind“
(„Der
Critische Musicus“, S. 693).
Es ist nun Angelegenheit der Analyse zu zeigen, nach welchem
Prinzip
Albinoni die frühen Konzerte angelegt und auf Grund welcher
Veränderungen er seine Form weiterentwickelt hat.
Im Jahre 1700 erschien das Opus II, Sinfonie e Concerti a cinque, bei
Gioseppe Sala in Venedig. Kurze Zeit danach (1701/02) druckte auch der
Amsterdamer Verleger Roger diese Konzerte. Vier von ihnen enthalten
Violinsoli: Nr. 2, 4, 5 und 6. Wenige Jahre später erscheint
ein
Zyklus von 12 Konzerten, das Opus V (1707). Im Gegensatz zu den sechs
Konzerten aus Opus II, von denen vier Anfangs-Sätze, zwei
Presto-Sätze und ein Schluss-Satz Violinsoli enthalten, finden
wir
in den Konzerten von 1707 (Opus V) in allen zwölf
Anfangssätzen, in acht Schluss-Sätzen und in acht
mittleren
Sätzen Soli des Violino Primo (in Nr. 2, 5, 8 und 11 in den
Largo-
bzw. Adagio-Sätzen, in Nr. 6 und 9 in den von zwei Adagi
eingeschlossenen Presto-Sätzen, in Nr. 3 enthält das
Presto
und das nachfolgende kurze Adagio und in Nr. 12 das
Adagio-Presto-Adagio Violinsoli).
Da diese Konzerte vor Vivaldis Op. III von 1711 erschienen waren
(Rudolf Eller, „Antonio Vivaldi“ Instrumentalwerke
Heft 3,
Leipzig 1973, S. IV), darf man mit einer gewissen Berechtigung
Einflüsse auf Vivaldis Konzertschaffen vermuten. Weshalb in
diesen frühen Konzerten von Op. II und Op. V das solistische Element
nicht im Vivaldischen Sinne dominiert, kann verschiedene Ursachen
haben. Unbekannt werden Albinoni aber auch die großen Soli in den
Konzerten des Bologneser Geigers Torelli gewiss nicht gewesen sein. Solange
wir jedoch nichts über die Ausbildung und den Wirkungskreis
Albinonis erfahren, wird es kaum möglich sein, die Ursachen
für die Zurückhaltung in der Behandlung der
Solovioline herauszufinden.