Einleitung

Italien war im 14. und 15. Jahrhundert das führende Land frühbürgerlichen sowie sozialen und geistigen Fortschritts. Die gewaltige ökonomische Entwicklung führte zur kulturellen und wissenschaftlichen Blüte der Renaissance. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts finden wir in Italien eine revolutionär neue Musik (Ernst H. Meyer, „Die Entstehung der sinfonischen Musik“, in: Konzertbuch, hrsg. von Karl Schönewolf, Berlin 1961, Erster Teil, S. 40) und italienische Musikzentren werden Träger des musikalischen Fortschritts. Heinrich Schütz reiste 1609 nach Italien, um die musikalische Kunst an San Marco zu studieren. Der 24-jährige kam zu Giovanni Gabrieli in die Kultur- und Handelsmetropole Venedig.

Bereits durch Adrian Willaert, der von 1527-1562 als Magister cappellae cantus ecclesiastice Sancte Marci die Kirchenmusik leitete, war Venedig zunächst zu einem Mittelpunkt der italienischen und später der gesamten abendländischen Kultur geworden. In der Liste der Markus-Kapellmeister (Hans Dörge, „Musik in Venedig“, Wilhelmshaven 1991, S. 51.) finden sich nach Willaert denkwürdige Namen: seine Schüler Cyprian de Rore und Gioseffo Zarlino, außerdem Baldassare Donati und Claudio Monteverdi. Ihnen zur Seite standen die bedeutendsten Organisten (ebenda): Francesco Cavalli, Antonio Lotti, die Gabrielis Andrea und sein Neffe Giovanni sowie Claudio Merulo. Giovanni Gabrieli war 52 Jahre alt, als Schütz zu ihm kam, und wie alle Gabrieli-Schüler schloss Schütz sein Studium mit einer Veröffentlichung von Madrigalen ab (Otto Brodde, „Heinrich Schütz, Weg und Werk“, Kassel 1872, S. 32f.).

Weltliche Musik gelangte unter dem Dogen Marin Grimani (1595-1605) zu großer Bedeutung. Die Instrumentalmusik wurde zu besonderen Anlässen in stärkerem Maße hinzugezogen. Hierfür wurden zahlreiche Ripienisten beschäftigt, die den Virtuosen gegenüberstanden, wobei ihre einfacheren Tutti sich deutlich von den virtuosen Solopartien (z. B. des Cornetto) abhoben. Die Geschicklichkeit der festangestellten Musiker förderte einen konzertanten Stil (Denis Arnold, Artikel „Venedig und venezianische Handschriften“, deutsch von Klaus Hortschansky, in: MGG, Band 13, Spalte 137ff., Kassel usw. 1966).

Nach der Pest im Jahre 1630 begann das Musikleben Venedigs mit der Eröffnung des ersten öffentlichen Opernhauses 1637 wieder aufzublühen. Innerhalb kürzester Zeit wurden weitere Opernhäuser errichtet, die man jeweils nach den benachbarten Kirchen benannte: SS. Giovanni e Paolo (1639 als zweites Opernhaus in Venedig eröffnet), das dritte Opernhaus war das Teatro di San Moisè (1640 eröffnet, 1668 nach einem Brand wieder aufgebaut). Das Teatro Novissimo eröffnete 1641, SS. Apostoli (1649), S. Apollinare (1651) und San Giovanni Grisostomo (1678) (Dörge, S. 156 und 160). Eine unübersehbare Zahl italienischer Opern eroberte im Laufe des 17. Jahrhunderts ganz Europa. Ihre formale Entwicklung mündet in dem starren Schema der vornehmlich von Alessandro Scarlatti herausgebildeten Opera seria, der repräsentativsten Kunstgattung des erstarkenden Absolutismus (Walter Siegmund-Schultze, „G. F. Händel“, Leipzig 1962, S. 81). Besonders die Fürstenhöfe engagierten mit Vorliebe italienische Komponisten, Sängerinnen und Sänger und Konzertmeister. Derartige Zentren außerhalb Italiens waren unter anderen Wien, München, Dresden und Hannover.

Durch die Konzentration der weltlichen Macht in den Händen der absoluten Fürsten, der Geistlichen im Papst- und Kardinalswesen der gegenreformatorischen Kirche, entfaltete sich eine repräsentative Musik in zuvor nicht gekanntem Maße. Repräsentation war eine Notwendigkeit und ein Bedürfnis der Höfe, des Adels und der Kurie. Vor diesem Hintergrund ist der gewaltige Aufschwung der konzertierenden geistlichen und weltlichen Musik zu verstehen, denn nur hier konnte ihr Sinn – die Schaustellung – zur Geltung kommen. Italien hat die Formen der Musik hervorgebracht, die dem Repräsentationsbedürfnis von Hof und Kirche am meisten entgegenkommen. Die Musiker drängten zu den Höfen. Monteverdi stand im Dienste der Herzöge von Mantua und der Dogen von Venedig, Lully war Kapellmeister Ludwig XIV., Schütz drängte in Dresden und Kopenhagen nach den fürstlichen Kapellmeister-Titeln. Ein Jahrhundert später Bach von Leipzig aus. Im Auftrag der weltlichen Fürsten wurden Opern, Kantaten, Instrumentalkonzerte, im Auftrage der geistlichen Fürsten jede Art kirchlicher Musik komponiert.

Mit dem Aufstieg des höfisch-aristokratischen Musikbetriebes wuchs langsam auch ein emanzipiertes Neubürgertum heran, das sich allmählich verselbständigte und am Ausgang der Epoche in den führenden Städten Europas (Venedig, Neapel, Wien, Paris, Leipzig, Hamburg, London u.a.) so gefestigt war, dass es das Erbe der höfischen Musikkultur antreten konnte.

Infolge der politischen Ohnmacht Italiens sind hier die Gegensätze wenig ausgeprägt. In Rom, Neapel, Bologna, Florenz, Venedig – den geistlichen und weltlichen Zentren Italiens – herrschte eine stilistisch und sozial vorwiegend einheitliche Musikpflege in Operntheatern, Kirchen und Akademien (Friedrich Blume, „Die Musik des Barock in Deutschland“, in: Syntagma musicologicum, hrsg. von Martin Ruhnke, Kassel 1963, S. 115ff.).

Im 17. Jahrhundert entwickelte sich neben der Oper in starkem Maße auch die Instrumentalmusik. Es entstanden die orchestrale Canzone und das Ricercar, beides Formen, die auf die spätere Fuge hinweisen. Weiterhin entstand die Kirchensonate in allen Besetzungen als Solo-, Trio- und Quadrosonate; als weltliches Gegenstück entstand die Suite, eine Zusammenstellung von Tänzen (Balletti). Beide Typen der Sonate, die Sonata da chiesa und die Sonata da camera, wurden allmählich miteinander vermischt und in zunehmendem Maße drangen solistische Elemente in die Gattung ein. Standen am Anfang des 17. Jahrhunderts Meister, von denen ausschließlich Vokalmusik überliefert ist, so finden wir an seinem Ende Komponisten wie Torelli und Corelli, die durch ihre Instrumentalmusik Bedeutung erlangten. Das Madrigal als musikalisches Gesellenstück war der instrumentalen Sonata gewichen. Dem Jahrhundert des Organisten war das des Instrumentalvirtuosen gefolgt. Das Gesangsvirtuosentum war erblüht, und der Magister cappellae cantus ecclesiastice war vom Maestro di Concerto abgelöst worden. Die Zeitgenossen haben diesen Wandel gespürt; noch in den Programmschriften Matthesons „Das neueröffnete Orchestre“ (1713) und Johann Heinrich Buttstedts „Ut, Mi, Sol, Re, Fa, Tota Musica et Harmonia Aeterna“ (1717) kommt er zum Ausdruck.

Innerhalb der Geschichte der italienischen Sonata hat besonders die Triosonate eine reiche Vergangenheit. Der Solosonate, die sich in größerem Gegensatz zur überlieferten Vielstimmigkeit befand, gehörte dafür die Zukunft (Adolf Sandberger, „Denkmäler der Tonkunst in Bayern“, Band I, Einleitung, Leipzig 1898, Seite XXXVI und XLIV). Gegen Ende des Jahrhunderts erscheinen Sonaten, die als Sinfonien bezeichnet wurden, und Concerti. Einige Komponisten unterscheiden sie nach der Besetzung, indem sie – wie 1692 Torelli und 1699 Taglietti – die Sinfonien dreistimmig und die Concerti vierstimmig setzen. Andere Beispiele zeigen, dass die Besetzung kein bestimmendes Kennzeichen ist. So sind die Sinfonie (Sonate) in Op. II des Venezianers Albinoni von realer Fünfstimmigkeit bei einer Besetzung von 2 Violini, Alto Viola, Tenore Viola, Violoncello e Basso Continuo. Die mehr als vierstimmige Besetzung erinnert an die alten Kirchenkanzonen, deren feierliche polyphone Stilrichtung Albinoni übernahm (Hans Engel, „Das Instrumentalkonzert“, Wiesbaden 1971, S. 11).

Die Vorgeschichte des instrumentalen Concerto verläuft in verschiedenen Bahnen. Der konzertierende Stil durchdringt alle Gattungen. Bologna wird das Zentrum einer bedeutsamen Schule, aus der auch Corelli stammt. Die Basilica San Petronio und die Accademia Filarmonica waren Pflegestätten Bologneser Musik, an denen Komponisten wie Don Maurizio Cazzati (ca. 1620-77), Lehrer von Giovanni Battista Vitali (1644-1692), Giuseppe Torelli (1651-1709), Giovanni Paolo Colonna (1637-1695), Giovanni Battista Bononcini (1670- ca. 1750), Bartolomeo Girolamo Laurenti (ca. 1644-1726), die Brüder Giovanni Battista (ca. 1660- ca. 1700) und Pietro (1648-1720) degli Antonii, Domenico Gabrielli (1659-1690), Giovanni Battista Bassani (ca. 1657-1716), Giuseppe Maria Jacchini (gest. 1727), Giacomo Antonio Perti (1661-1756), Pirro Capacelli d’Albergati (1663-1735), Giuseppe Antonio Vincenzo Aldrovandini (ca. 1673-1708), Evaristo dall’Abaco (1675-1742), Francesco Maria Manfredini (ca. 1688- ca. 1748) und andere tätig waren.

Das zweite bedeutende Musikzentrum war die alte Seehandelsstadt Venedig mit ihren Ospedali, den oben genannten Opernhäusern und zahlreichen Kirchen, deren berühmteste San Marco ist. Unter den Ospedali ragen vier wegen ihrer regelmäßigen Konzerte hervor: la Pietà (zur Barmherzigkeit), i Mendicanti (die Bettler), gli Incurabili (die Unheilbaren) und Ospedaletto (das kleine Hospital). Berühmte Komponisten waren an den Musikseminaren tätig, so Antonio Caldara, Baldassare Galuppi, Johann Adolf Hasse (genannt il Sassone), Giovanni Legrenzi, Antonio Lotti, Domenico Scarlatti, Carlo Tessarini, Tommaso Traetta, Antonio Vivaldi und andere.

Venedig war, wie zu Zeiten des Henrico Sagittario, Anziehungspunkt für ganz Europa. 1708 kam Georg Friedrich Händel, 1712 Gottfried Heinrich Stölzel, 1716 kam im Gefolge des späteren Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen, Friedrich August III., Sohn August des Starken, der Geiger und spätere Konzertmeister in Dresden, Johann Georg Pisendel nach Venedig. Im gleichen Jahr finden wir Daniel Gottlieb Treu (ital. Fedele), ein Jahr zuvor Johann David Heinichen dort. 1716/17 hält sich der Böhme Jan Dismas Zelenka in Venedig auf. Viele kamen, um Unterricht bei dem Prete rosso famoso (dem berühmten rothaarigen Priester) Antonio Vivaldi zu nehmen. Eine unübersehbare Zahl von Concerti grossi und Solokonzerten war entstanden und entstand weiterhin; allein von Vivaldi sind 443 Konzerte (Walter Kolneder, „Antonio Vivaldi“, Wiesbaden 1965, S. 61) überliefert. Vor und neben Vivaldi waren es in Italien vor allem Giacomo Torelli, Arcangelo Corelli, Tomaso Albinoni und Giuseppe Jacchini, die für die Herausbildung der Konzertform eine gewisse Bedeutung erlangten. Die Frage nach der Priorität ist hier nicht relevant. Für das erste Werk in Solokonzertform hat Kolneder (Walter Kolneder, „Die Solokonzertform bei Vivaldi“, Strasbourg/Baden-Baden 1961, S. 22) herausgestellt, dass der Zeitpunkt um 1700 und der Raum Bologna-Venedig anzunehmen sind. Hierfür kommen in Frage die Komponisten Tomaso Albinoni (1671-1751), Giuseppe Jacchini (gest. 1727), Giuseppe Torelli (1651-1709) und Antonio Vivaldi (1678-1741), wobei der Anteil Albinonis an der Entwicklung der Solokonzertform wohl von einiger Bedeutung sein dürfte.